Die beste Episode aus Reed Hastings Buch „Keine Regeln“ wird gleich zu Beginn in der Einleitung erzählt: Er sitzt im Jahr 2000 zusammen mit seinem Mitgründer Marc Randolph in der Zentrale der damals mächtigen Videotheken-Kette Blockbuster und bietet deren Vorstand sein Startup Netflix (damals noch ein Online-Verleih für DVDs) für 50 Millionen zum Kauf an. Blockbuster lehnt ab und der Marktwert von Netflix liegt heute bei 150 Milliarden US-Dollar (nachdem er zeitweise schon fast doppelt so hoch war).
Schaut man heute nach den Gründen für diesen Erfolg, so fällt auf, dass Netflix immer ein sehr gutes Timing hatte: Das ursprüngliche Geschäftsmodell, die bereits erwähnte Internet-Videothek, startete 1997, genau zu dem Zeitpunkt, als die VHS-Kassetten von den DVDs abgelöst wurden (und dadurch die Versandkosten gegenüber stationären Videotheken konkurrenzfähig wurden). Und als 2007 neben dem Postversand das Streaming von Filmen begann, war das Internet gerade so weit ausgebaut, dass ein solches Angebot für den Massenmarkt eine ernstzunehmende Alternative zu den Pay-TV-Angeboten im Kabel wurde. Zeitnah folgten 2010 die internationale Expansion und 2011 der Start von Eigenproduktionen.
Wie bei vielen anderen in diesem Blog betrachteten Case-Studies zeigt sich auch bei Netflix die Bedeutung der Cash-Reserven. Ohne die von Jahr zu Jahr massiveren Investitionen in neuen Content hätte es Netflix sicher nicht geschafft, zeitweise zum Synonym für Streaming-Sender zu werden. Doch in diesem Markt gibt es eine Besonderheit: Neue Wettbewerber mit noch tieferen Taschen. Allen voran Disney: Die wollen im Geschäftsjahr 2022 insgesamt 33 Milliarden US-Dollar für Content-Produktionen ausgeben und damit fast doppelt so viel wie Netflix im letzten Jahr investiert hat. Disneys Gelder kommen zwar nicht komplett der eigene Streaming-Plattform Disney+ zu Gute (sondern unter anderem auch den Marken ESPN und Hulu), aber Analysten rechnen aktuell damit, dass Netflix 2027 von Disney+ überholt wird.
Und dann ist da noch Amazon mit Prime Video. Amazon hat 2021 zwar „nur“ 13 Milliarden US-Dollar für Content ausgegeben (inklusive Amazon Music), produziert aber mit seiner Version von „Herr der Ringe“ gerade die bisher teuerste Serienproduktion aller Zeiten: Die Produktionskosten der ersten Staffel sollen bei 465 Millionen US-Dollar liegen. Hinzu kommen die 250 Millionen US-Dollar, die für das Rechte-Paket an die Tolkien-Erben gingen. Und dann hat Amazon ganz aktuell noch den Zukauf von MGM für 8,45 Milliarden US-Dollar.
In der Folge hat Netflix in der jüngsten Vergangenheit enorm an Börsenwert verloren und scheint immer mehr Serien (oft trotz Cliffhanger am Ende der ersten Staffel) nicht mehr fortsetzen zu wollen, was Risiken für die Kundenzufriedenheit mit sich bringt: Wer will auf Dauer für Serien bezahlen, bei dem ihm das Ende vorenthalten wird?
Doch es gibt einen positiven Aspekt: Inzwischen deutet alles darauf hin, dass zumindest in diesem Markt (im Unterschied etwa zu dem für Reisebuchungen oder Business-Netzwerke) wohl kein Monopol entstehen wird. Die durchschnittlichen Haushalte sind ganz offensichtlich bereit, dauerhaft mehr als eine Streaming-Plattform zu abonnieren.
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