Beginnen wir mit dem Titel: Wer sind die neun Tech-Titanen, die laut Amy Webb führend bei der Entwicklung künstlicher Intelligenz sind? Enthalten sind natürlich die vier GAFA-Unternehmen (Google, Amazon, Facebook und Apple), die sich zum Beispiel Scott Galloway 2017 in seinem Buch the four vornahm und die ich 2018 mit dem GAFA-Akronym in den Untertitel dieses Blogs aufnahm. Aus diesen vier wurden spätestens Ende 2018 fünf große Tech-Titanen. Da krönte Microsoft sein Comeback, indem es zeitweise vor Apple und Amazon das wertvollste Unternehmen der Welt war. Seitdem wird statt von GAFA bevorzugt von GAFAM gesprochen. Und dann gibt da natürlich die chinesischen Pendants der amerikanischen Player: Baidu, Alibaba und Tencent – allgemein als BAT abgekürzt. Spannend ist, dass Amy Webb als neunten großen Tech-Player ein mehr als hundert Jahre altes Unternehmen neben den Internet-Companies einordnet: Die 1911 gegründete International Business Machines Corporation aka IBM. Auf der anderen Seite ist die Auswahl nur folgerichtig, geht es in dem Buch doch um künstliche Intelligenz und auf diesem Gebiet ist IBM mit dem Schachcomputer Deep Blue und der KI Watson der größte Vorreiter von allen. Und dann zeigt das Beispiel IBM noch sehr schön, dass Unternehmen auch bei immer geringeren Lebenserwartungen von Geschäftsmodellen langfristig überleben können, wenn sie denn ihre Geschäftsmodelle regelmäßig erneuern – etwa von Lochkarten über Großrechner zur KI.
Die Autorin des Buches, Amy Webb, ist Professorin an der New York University und Gründerin des Zukunftsinstituts Future Today Institute. Bekannt ist sie unter anderem für ihren jährlich erscheinenden Tech Trends Report.
Der (kostenlos downloadbare) Report unterscheidet sich von vielen anderen Veröffentlichungen zum Thema Trends durch seine außerordentliche Strukturiertheit. Jedes Jahr werden hunderte von Trends vorgestellt und übersichtlich kategorisiert. (Etwa danach, wie lange es den Trend schon gibt, welche Branchen er betrifft, welche Unternehmen auf diesem Feld führend sind und so weiter.) Bei ausgewählten Themen wird da auch gerne auf die Szenarien-Methode zurückgegriffen. Da wird dann dargestellt, wie bestimmte Entwicklungen unter bestimmten Grundannahmen (Szenarien) unser Leben beeinflussen könnten. Und genau solche Szenarien stellt Amy Webb im mittleren und besten Teil ihres Buches über die großen Neun auch zum Thema künstliche Intelligenz vor.
Es beginnt mit dem optimistischen Szenario: In dieser Zukunftsvision nehmen die Regierungen das Thema KI ernst und setzen (unter anderem im Bereich Datenschutz) die richtigen Rahmenbedingungen, damit sich KI zum Wohle der Menschheit entwickelt: Die Schüler diskutieren mit der Sokrates-KI und die Haushaltsdrohne sortiert im Marie Kondo-Modus die Wäsche, während im Hintergrund der von der KI komponierte neueste Stones-Song läuft, der sich vor der Originalen der Band nicht zu verstecken braucht. Schon schlechter sieht es da im zweiten, im pragmatischen Szenario aus: Aufgrund mangelnder Regulierung entstehen Oligopole wie Applezon und Google-IBM. Probleme gibt es bereits, wenn Anhänger der verschiedenen Ökosysteme einen gemeinsamen Haushalt gründen wollen. Richtig übel wird es aber im dritten, im Katastrophenszenario: Während sich der Westen mit sich selbst und der Gewinnmaximierung seiner Unternehmen beschäftigt, hat die langfristige KI-Strategie von China dazu geführt, dass der Großteil des Planeten auf die chinesischen Plattformen inklusive Sozialkreditsystem aufgesprungen ist. Der Westen boykottiert das, wird als Handelspartner aber zunehmend ersetzbar und isoliert. Netter Gag am Rande: An der US-Grenze zu Mexiko entsteht eine Mauer, gebaut von den Chinesen, um illegale Einwanderung in das aufgrund chinesischer Aufbauhilfe prosperierende Mexiko zu verhindern. Und das sind jetzt nur einige Auszüge aus den wirklich spannenden Szenarien, deren komplette Lektüre ich nur empfehlen kann!