Der Workforce-Faktor: Die Wikipedia-Story

Was hat das Gebäude auf unserem Beitragsfoto mit Wikipedia zu tun? Nun, es zeigt den ehemaligen Firmensitz der Bibliographischen Instituts & F.A. Brockhaus AG in Mannheim. (Heute ist dort die Deutschlandzentrale von Westinghouse Electric, einem Hersteller und Betreiber von Atomkraftwerken, untergebracht.) Die Geschichte der Lexika-Anbieter zeigt besonders prägnant, dass es mit der einmaligen Digitalisierung von Geschäftsmodellen nicht getan ist. Schon früher haben sich Geschäftsmodelle gewandelt, aber nun hat die Geschwindigkeit zugelegt, der Wandel ist permanent. Ende der 90er sah sich Brockhaus einer großen Herausforderung gegenüber. Aber es war eben nicht das erst 2001 gegründete Wikipedia, sondern das multimediale Lexikon Encarta aus dem Hause Microsoft, das auf CD-Roms gebrannt wurde.

Inzwischen sind Brockhaus und Encarta schon lange gleichermaßen vom Markt verschwunden. (Für Brockhaus stimmt das nicht ganz: Aktuell nutzt der deutsche Arm eines schwedischen Anbieters für digitale Bildungsangebote die Marke, nachdem sie von 2008 bis 2015 zu Bertelsmann gehört hatte.) Und natürlich konnten auch die Online-Angebote, die Brockhaus und Encarta irgendwann starteten, nicht helfen: Gegen Wikipedia stand man auf komplett verlorenem Posten. Schon Encarta konnte damit auftrumpfen, dass auf die CD-Roms deutlich mehr Themen passten als in ein gedrucktes Lexikon. Aber keiner von beiden konnte auch nur annähernd mit der Zahl der Wikipedia-Einträge mithalten – ganz davon abgesehen, dass die Einträge auf Wikipedia oft auch noch ausführlicher und aktueller sind.

Möglich ist diese Informationsmenge bei Wikipedia natürlich nur durch die große Workforce der Mitarbeiter. Und die wiederum kann nur deshalb so groß sein, weil alle kostenfrei (und nicht einmal für eine Namensnennung oder einen Badge) arbeiten: Gehälter für alle Wikipedia-Mitarbeiter würden wohl jeden betriebswirtschaftlichen Rahmen sprengen. Im konkreten Fall gibt es vor allem zwei Gründe für den Idealismus der Mitarbeiter: Zum einen dürfte es an der Thematik liegen (Expertentum als Hobby), zum anderen funktioniert es vor allem deshalb, weil Wikipedia selbst kein Geld verdient, sondern gemeinnützig arbeitet. An anderer Stelle schaffen es Unternehmen zwar auch, eine Workforce aufzubauen, ohne dafür in Vorleistung zu gehen (so wie der Unterkunftsanbieter Airbnb keine eigenen Unterkünfte und das der Fahrdienstleister Uber keine eigenen Fahrzeuge hat), am Ende müssen sie als Gewinnmaximierer aber zumindest den Profit teilen. Da das aber immer noch lukrativ genug ist, werden wir in Zukunft höchstwahrscheinlich noch mehr Beispiele für dieses Geschäftsmodell sehen. (Ein Geschäftsmodell, dass aber im Unterschied zu den Enzyklopädien beispielsweise im Bereich Journalismus nie funktioniert hat, wie auch die von Wikipedia-Gründer Jimmy Wales 2017 ins Leben gerufene WikiTribune zeigt.)

Und wie sieht die Zukunft von Wikipedia aus? Auch wenn die neuen Sprachassistenten sicher nicht die komplette Digitalökonomie umkrempeln werden, so dürfte kaum ein Inhalt so für Voice prädestiniert sein wie der von Wikipedia. Daraus ergibt sich die spannende Frage, welcher Voice-Dienst sich am Ende durchsetzen wird, und ob dieser mit oder gegen Wikipedia arbeitet. Denn dazwischen gibt es nichts. Der Grundsatz „the winner takes it all“ gilt im Internet-of-voice noch mehr als je zuvor: Wo Google auf eine Frage immer noch eine Auswahl an Treffern präsentierte, liefern die Sprachassistenten schon heute nur noch eine einzige Antwort. Und während Google News, Apple News und Upday auf die Frage nach allgemeinen Neuigkeiten immer noch eine Handvoll Quellen anbieten, verweist Alexa defaultmäßig nur auf die Tagesschau.

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